Bestellmengenrechnung: Schlauer kanalübergreifender Nachschub

Wenn es im Handel irgendwo richtig Geld liegen lässt (oder verbrennt), dann bei der Bestellmenge. Vor zehn Jahren reichten oft einfache Regeln: Mindestbestand, Auffüllen, fertig. Heute steuern Sie Sortimente über Kasse, Self-Checkout, App, Webshop und vielleicht sogar Ship-from-Store. Dazu kommen volatile Lieferzeiten, Aktionsspitzen, Rücksendungen und Kanalverschiebungen. Kurzum: Bestellmengenrechnung ist kein Tabellenblatt mehr, sondern ein kleiner Wettbewerbsvorteil im Alltag.

Dieser Beitrag bringt das Klassikerthema auf den aktuellen Stand, zeigt moderne Kniffe und macht Vorschläge, wie Sie das ohne theoretische Verrenkungen pragmatisch verankern. (Zur Einordnung der Sortimentslogik lohnt ein Blick auf unseren älteren Grundlagenbeitrag: „Sortimente im Einzelhandel“)

Die Klassiker: kurz, korrekt und praxistauglich

Bestellpunktverfahren (ROP)

Sie bestellen eine feste Menge, wenn der Bestellpunkt erreicht ist. Der Bestellpunkt entspricht „erwarteter Bedarf während der Lieferzeit + Sicherheitsbestand“. So fangen Sie Schwankungen ab, vor allem, wenn Lieferzeiten variieren. Genau hier entscheidet die Musik heute: Sicherheitsbestände sollten servicelevel-basiert und mit Lieferzeit-Varianz gerechnet werden, nicht als Bauchwert.

Bestellrhythmusverfahren

Sie prüfen in festen Intervallen (z. B. wöchentlich) und bestellen die Auffüllmenge bis Zielbestand. Super für C-Artikel und ruhige Flüsse, kritisch bei volatilen Artikeln oder stark schwankender Lieferzeit.

Losgrößenrechnung (EOQ & Co.)

Sie optimieren zwischen Bestellkosten und Lagerkosten. In der Praxis nehmen viele zusätzlich Staffelpreise, Mindestabnahmemengen (MOQ), Gebindelogik, Palettenplätze oder Aktionen auf. Ansonsten rechnet das Modell an der Realität vorbei. Moderne Lot-Sizing-Verfahren wie Silver-Meal, Wagner-Whitin oder Part-Period-Balancing helfen bei dynamischen Bedarfen, z. B. saisonalen Mustern.

Auffüllen auf Maximalbestand

Formel: Bestellmenge = Maximalbestand − aktueller Bestand.
Funktioniert, wenn Ihr Zielbestand sauber abgeleitet ist (Servicelevel, Lieferzeit, Volatilität). Sonst ist es nur hübsch einfach.

Was ist neu (und wichtig)?

  1. Sicherheitsbestand ist kein Schätzwert mehrDer Dreh-und-Angelpunkt ist die Unsicherheit: Nachfrage und Lieferzeit schwanken. Deshalb rechnen viele Händler heute servicelevel-geführt (z. B. 95 % oder 98 %), und zwar mit Streuung der Lieferzeit und nicht nur mit einem Mittelwert. Das senkt Out-of-Stocks, ohne blindes Aufblasen der Bestände.
  2. Intermittierende Nachfrage sauber behandelnErsatzteile, Long-Tail, Spezialgrößen (also Nachfrage mit vielen Nullen) ruiniert klassische Prognosen. Hier punkten Croston-Varianten und probabilistische Forecasts, die getrennt modellieren, wann Nachfrage auftritt und wie groß sie dann ist. In Summe ergeben sie Wahrscheinlichkeitsverteilungen statt Punktwerte. Das eignet sich perfekt für servicelevel-basierte Sicherheitsbestände.
  3. Omnichannel frisst alte RechenwegeBOPIS/Click&Collect und Ship-from-Store verschieben Bestände zwischen Fläche und Online. Wer weiterhin kanalgetrennt disponiert, zahlt doppelt: zu viel Bestand hier, Out-of-Stock dort. Besser: ein Regelwerk, zentrale Servicelevel, klare Zuteilungslogik. Einen guten Überblick, wie wir solche Regeln zentral denken (Headless, ein Core – viele Touchpoints), gibt unser Artikel: „Wie wir zu KORONA POS Next gekommen sind …
  4. Dynamische Losgrößen? Ja, aber bitte pragmatischFür A-Artikel mit klaren Mustern lohnt dynamisches Lot-Sizing (Silver-Meal, Wagner-Whitin). Für C-Artikel bleibt das Perioden-Review oft völlig okay. Entscheidend ist die Segmentierung (ABC/XYZ): teuren, volatilen Artikeln geben Sie mehr Modell-Liebe, der Rest fährt robust.

Parameter 2025/26: Was wirklich in die Rechnung gehört

  • Prognose (auch probabilistisch, je nach Artikelklasse)
  • Servicelevel (Cycle Service Level / Fill Rate; bewusst wählen, nicht „irgendwie 98 %“)
  • Lieferzeit & Varianz (inkl. Lieferanten-Performance, Feiertage, Cut-offs)
  • MOQ, Gebinde, Paletten/Layer, Karton-Rastersprünge
  • Staffelpreise, Verbundkonditionen, Aktionsfenster
  • Lager- und Kapitalbindungskosten (realistisch, nicht Wunschdenken)
  • Umlagerungs- und Transshipment-Optionen (wenn Kanäle/Lager vernetzt sind)
  • Rücksendungen / Retouren (Omnichannel!) und Schwund
  • Kapazitäten: Wareneingang, Fläche, Personal

So setzen Sie das pragmatisch auf: Ein 6-Schritte-Playbook

  1. Segmentieren (ABC/XYZ)
    A-Artikel und volatile Artikel bekommen die „gute“ Behandlung (probabilistische Nachfrage, Servicelevel-Rechnung). B/C fahren einfacher.
  2. Servicelevel je Klasse festlegen
    Beispiel: A = 98 %, B = 95 %, C = 90 %. Wichtig ist Konsistenz über Kanäle.
  3. Forecast wählen
    Glatte Nachfrage: klassische Zeitreihen reichen.Intermittierend: Croston-Varianten / probabilistisch.
  4. Lieferzeit realistisch modellieren
    Mittelwert + Streuung, saisonale Muster, Lieferantenspezifika. Daraus ergibt sich Sicherheitsbestand pro Kanalverbund, nicht pro Insel.
  5. Bestelllogik je Klasse
    A/volatil: Bestellpunktverfahren (kontinuierlich), dynamische Losgröße möglich
    B: Rhythmusverfahren mit Sicherheitsbestand, ggf. einfache Losgrößen-Heuristik
    C: Auffüllen in festen Zyklen, klare MOQ/Pack-Sprünge
    Aktionsartikel: gesondert mit Szenarien, Ablaufdatum, Abverkaufstreppe
  6. Omnichannel-Allokation klären
    Ship-from-Store/BOPIS brauchen ein Regelwerk: Wer bekommt welchen Bestand, wann wird umgelagert, wann online drosseln? Das gehört vor die Bestellrechnung. Ein praktischer Einstieg in unsere Denk- und Lösungswelt für KORONA Retail:

Was davon steckt wie in KORONA?

Ein Core, alle Touchpoints: zentral gesteuerte Regeln und Bestände; Kasse, SCO, App, Webshop hängen am selben Regelwerk (Headless/Omnichannel).

Backoffice & Integrationen: Stammdaten, Regeln, Bestände, Staffeln zentral pflegen; Integrationen zu ERP/WaWi/FiBu sauber anbinden.

Assists & Fleißarbeit: KI-gestützte Unterstützung für Datenhygiene, Imports, Ausreißererkennung und sinnvolle Review-Intervalle.

Wer das einmal live sehen will oder direkt Fragen hat: Kontaktmöglichkeiten gibt’s hier

Typische Stolperfallen – und die einfache Gegenmaßnahme

  • „Ein Servicelevel für alle“ klingt fair, ist teuer → klassenbasiert steuern
  • Lieferzeit „immer 5 Tage“ ist Wunschdenken → Varianz messen, Sicherheitsbestand anpassen
  • Forecast = Punktwert bei intermittierender Nachfrage → Croston/Probabilistik verwenden
  • Aktionen ohne Lot-Sizing → Bestellkosten vs. Lagerkosten bewusst abwägen (Silver-Meal/WW prüfen)
  • Kanalinseln → Omnichannel-Regeln vor Disposition definieren

Mini-Formelsammlung (ohne Kopfweh)

  • Bestellpunkt (Praxis-Setup)ROP = erwarteter Bedarf während der Lieferzeit + Sicherheitsbestand(Sicherheitsbestand leitet sich aus gewünschtem Servicelevel und der Streuung von Nachfrage und Lieferzeit ab.)
  • AuffüllenBestellmenge = Zielbestand − (Bestand + offene Bestellungen − Rückstände)
  • Dynamische Losgrößen (Beispiel)Silver-Meal minimiert Durchschnittskosten je Periode; Wagner-Whitin findet die optimale dynamische Lösung bei variabler Nachfrage (ideal für Saisonwellen).

Unser Fazit: modern rechnen, pragmatisch umsetzen

Bestellmengenrechnung heute heißt Unsicherheit aktiv managen: Servicelevel definieren, Lieferzeit-Varianz ernst nehmen, intermittierende Nachfrage korrekt prognostizieren und die Kanalregeln zuerst festlegen. Mit einem zentralen Core und sauberer Governance wird daraus ein einfacher Rhythmus, kein Großprojekt: messen → entscheiden → ausspielen → lernen.

(Extra-Tipp für Technik- und Architektur-Interessierte: Hintergründe zu Headless und „ein Core, viele UIs“ hier )